Über das Dialektarchiv

Die Bestände des Tiroler Dialektarchivs —
Das Tiroler Dialektarchiv beherbergt Dialekt-aufnahmen von über 120 Gemeinden und Ort-schaften aus Nord-, Ost- und Südtirol, die ab den frühen 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts gemacht wurden und bis heute erweitert werden.

Bei einer Dialektaufnahme handelt es sich um eine handschriftliche Aufzeichnung eines Sprachwissenschaftlers bzw. einer Sprachwissenschaftlerin (Explorator bzw. Exploratorin) zu einer Ortsmundart, die durch die Befragung von einer oder mehreren Personen (Gewährspersonen) zustande kommt. In jüngerer Zeit wurden Teile dieser Befragungen auf Audiokassetten aufgenommen.

Wortkarten
Die Befragung

Die Gewährspersonen waren im Ort geboren, dort ansässig, ja verwurzelt und sollten nicht für lange Zeit den Ort verlassen haben. Außerdem waren sie sachkundig, denn für die Aufnahme waren circa 2.200 Fragen zur bäuerlichen Lebenswelt zu beantworten. Diese berücksichtigen – geordnet nach Sachgruppen – Wörter und Wendungen zur Alp- und Weidewirtschaft, zum Feld- und Ackerbau, zur Holzwirtschaft, zu landwirtschaftlichen Geräten, Nutz- und Wildtieren, Wohn- und Wirtschaftsgebäuden, Arbeiten in Haus und Garten, zu Nahrungsmitteln,

zum Wetter und zu Zeitbezeichnungen – einfach: zum bäuerlichen Alltagsleben. Eine dieser Fragen lautete beispielsweise: „Wie ruft man Schweine, wenn sie kommen sollen?“ Die Antworten waren je nach Region lautlich oder begrifflich völlig unterschiedlich. In Ischgl und in Tarrenz im Tiroler Oberland zum Beispiel ruft man nåtsch, nåtsch, in Alpbach im Tiroler Unterland lautet der Ruf håådsaä, håådsaä. Die Exploratorinnen und Exploratoren schrieben das Gehörte lautlich detailgetreu mithilfe einer Lautschrift nieder.

Tirol TV Beitrag über das Tiroler Dialektarchiv
Ausgestrahlt am 12. Mai 2015
Datenbearbeitung

Das Projekt Tiroler Ortsdialekte online (TiDiOn)

Seit 2011 verfolgen wir im Tiroler Dialektarchiv das Ziel, die gesamten uns vorliegenden Daten in einem Sprachatlas zu publizieren, und zwar in digital-interaktiver Form.

Dazu wurde eine Datenbank erstellt, die sowohl für Laien als auch für WissenschaftlerInnen gewinnbringend ist. In dieser Datenbank können in OpenStreetMap die Originalbelege (etwa tǫttəʀmandlə) und für Laien leichter lesbare, vereinfachte Belege abgerufen werden (in diesem Fall tåttermandle). Möchte man beispielsweise wissen, wie das Tattermandl (der Alpensalamander) in verschiedenen Ortschaften Tirols genannt wird, werden auf Knopfdruck die einzelnen Mundartbelege sichtbar, nachdem das standarddeutsche Wort Alpensalamander eingegeben wurde: Quatterpetsch, Tattermandl, Wegnarr oder auch Regenmandl (siehe https://wiki.uibk.ac.at/tda/index.php/Bedeutung_59). Diese unterschiedlichen Bezeichnungen werden durch farblich markierte Punkte auf einen Blick ersichtlich.

Es gibt aber nicht nur unterschiedliche Bezeichnungen, sondern auch unterschiedliche lautliche Realisierungen einer Bezeichnung. Wegnarr beispielsweise wird nicht überall gleich ausgesprochen. In einem Ort hört man das a in -narr als å oder o (Wegnårr oder Wegnorr). In einem anderen Ort sagt man Wegno, weil das r am Ende abfällt. Als Grundform bleibt jedoch immer die Bezeichnung Wegnarr. Diese Lautvarianten werden in der geographischen Karte farblich nicht unterschieden, sondern unter dem Stichwort Wegnarr zusammengefasst und mit der gleichen Farbe abbildet. Eine Differenzierung nach Lautvarianten würde die Karte zwar bunt, aber nicht sehr aussagekräftig machen. Ein Klick auf das Wort Wegnarr aber führt zu den unterschiedlichen lautlichen Varianten dieses Wortes (siehe https://wiki.uibk.ac.at/tda/index.php/SSW_284). Auf den Karten des interaktiven Sprachatlas können mit einem Mausklick die Punkte geöffnet und weitere Informationen wie zum Beispiel die Aussprache oder der Originalbeleg abgerufen werden. Das Ziel ist, die Möglichkeit der individuellen Nutzung für Userinnen und User, auch in der Weise, dass weitgehend eigenständig Karten erstellt werden können. Gegenwärtig steht jedoch die Befüllung der Datenbank an erster Stelle.

Unsere Lautschrift

Die Ortsmundarten weisen viele Nuancierungen in der Lautung auf, die durch die Verschriftlichung „hörbar“ werden müssen. Dafür sind die 26 Buchstabenzeichen des lateinischen Alphabets nicht genug, es braucht also zum einen eine spezielle Lautschrift. In der deutschen Dialektologie ist die so genannte „Teuthonista“ weit verbreitet: Buchstabenzeichen und kleine Zeichen wie Punkte, Striche, Häkchen, Kreuze, Bogen oder Kreise (Diakritika), die auf oder unter den Buchstabenzeichen liegen, machen die Betonung und die Aussprache eines Lauts deutlich. Unsere Belege liegen in dieser Lautschrift vor. So wird etwa das dialektale Wort Murmentl für ‚Murmeltier‘ als mųrmę̃́ntl wiedergegeben.

Zum anderen müssen diese Lautschriftzeichen aber auch digital „nachgezeichnet“ werden können. Es braucht also auch einen speziellen Font für die Lautschrift. Der Font „Antonia Phonetic“, der eigens für die Eingabe unseres Sprachmaterials von David Gschösser und den Fontspezialisten typejockeys in Zusammenarbeit mit dem Grafikbüro florianmatthias entwickelt wurde, kann mit den vielen Sonder- und Zusatzzeichen umgehen: Sie werden linear eingegeben, erscheinen aber an der Oberfläche als Einzelzeichen, etwa so: e + ◌̨ + ◌̨ + ◌̄ + ◌̃ + ◌́ .
„Antonia Phonetic“ ist nicht nur typographisch attraktiv, sondern in erster Linie funktional, weil das Eintippen der Lautzeichen folgerichtig und einfach ist. Eine exakte Übertragung des analogen Materials in digitaler Form ist gegeben. Und natürlich sind die Zeichen mit Unicode kompatibel. Der Font kann hier erworben werden.

Ein Heft mit Informationen zum Dialektarchiv dokumentiert unsere Arbeit. Es kann direkt bei uns angefordert werden. Schreiben Sie uns.

Dialektsammlungen von Laien

Dialekte stoßen seit Langem auch in der Bevölkerung auf breites Interesse. Das wird nicht zuletzt durch die vielen Initiativen von dialektbegeisterten Privatpersonen, Vereinen und Kulturinstitutionen sichtbar, die sich der Sammlung von Dialektwörtern aus einer Gemeinde, einer Talschaft oder einer Region verschrieben haben.

Sie stehen dabei in einer für Tirol nunmehr fast 160-jährigen Tradition der Beschäftigung mit dialektalem Wortgut, die mit der Publikation des „Tirolischen Idiotikons“ von Johann Baptist Schöpf im Jahr 1866 ihren Ausgang nahm. Das bereits 1827 und 1837 erschienene „Bayerische Wörterbuch“ von Johann Andreas Schmeller diente ihm dabei als Vorbild.

Die hier publizierte und im Aufbau begriffene interaktive Karte mit Ortssammlungen und die zusätzliche Liste an großräumigeren Sammlungen versteht sich als Zusammenschau der mittlerweile zahlreich existierenden Dialektwörtersammlungen, die entweder online oder in gedruckter Version zugänglich sind. Zudem werden dem Tiroler Dialektarchiv zur Verfügung gestellte unpublizierte analoge Sammlungen hier dokumentiert.

Download der Laiendialektsammlungen

Das Tiroler Dialektarchiv ist nicht für den Inhalt dieser externen Seiten bzw. der gedruckten Werke verantwortlich.

Organisation und Förderung

Die ersten Dialektaufnahmen kamen in den frühen 70er-Jahren zustande, die letzten im Jahre 2013. Viele Forscherinnen und Forscher sind ins Feld gezogen, um die Tiroler Bevölkerung danach zu fragen, wie sie reden. Allen voran Eugen Gabriel. Von ihm stammt mehr als die Hälfte der Aufnahmen. Er ist ein profunder Kenner der tirolischen Sprachlandschaft, ein renommierter Wissenschaftler in Sachen regionale Sprachatlanten und Wegbereiter für den neuen Tiroler Sprachatlas. Aber auch viele andere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen haben im Dialektarchiv mitgearbeitet: Werner Bauer †, Edith Burkhart-Funk, Erika Kühn, Werner König, Günter Lipold, Cornelia Mair, Günter Osl, Wilfried Schabus, Hermann Scheuringer, Beatrix Schönherr, Silvia Spiegl, Herbert Tatzreiter.

Das Material für das Dialektarchiv zu beschaffen war das Werk der Sprachwissenschaftler und Sprachwissenschaftlerinnen. Dass dies aber gelang, verdanken wir in erster Linie den Gewährspersonen, die uns als kompetente Dialektsprecher und Dialektsprecherinnen Auskunft über ihren Ortsdialekt gegeben haben. Und natürlich den Sponsoren.

Der treueste Sponsor war über Jahrzehnte das Land Tirol, und wir hoffen sehr, dass das auch so bleibt. Die politischen Vertreter und Vertreterinnen und alle in der Kulturabteilung des Landes Tirol unterstützten und unterstützen das Tiroler Dialektarchiv. Nur so können das gegenwärtige und konnten die vorangehenden Projekte durchgeführt werden.